Struktur der absoluten stilistischen Bedeutung
Die absolute stilistische Bedeutung besteht aus drei Komponenten. Das sind
1) funktionale Komponente: funktionale Stilfärbung
2) normative Komponente: normative Stilfärbung;
3) expressive Komponente: Expressivität.
- der Stil der Wissenschaft: „die Lautverschiebung“, „der Imperativ“, „der Multiplikator“, „der Tauschwert“;
- der Stil des offiziellen Verkehrs: „gestatten“, „die Genehmigung“, „betreffs + G.“; иметь место, оказать содействие, препроводить, вышеозначенный; „sich verehelichen“ (= heiraten);
- der Stil der Presse und Publizistik: „inspirieren“, „die Souveränität“ (= Unabhängigkeit), „die Subvention“ (= der Zuschlag);
- der Stil des Alltags: „keinen Bock haben auf Akk.“ (= keine Lust haben auf Akk./zu D.), „kriegen“ (= bekommen), „sich kriegen“ (= heiraten), „das Sauwetter“ (= ein sehr schlechtes Wetter), „gucken“ (= sehen), „Kuhdoktor (= Tierarzt)“;
- der Stil der Belletristik: „speisen“ (= essen), „der Leu“ (= der Löwe), „die Zähre“ (= die Träne), „bedürfen + G.“ (= brauchen + Akk.), „schlummern“ (= schlafen), „Gemahl“ (= Ehemann)
Die absolute stilistische Bedeutung ist also eine linguostilistische Charakteristik des Wortes, die man als folgendes Schema darstellen kann:
funktionale Stilfärbung n1 | normative Komponente n2 | Expressivität n3 |
z. B.: „das Fahrrad“: n1 – n2 – n3, wo
n1= neutral (in allen Funktionalstilen verwendbar), d.h. allgemein gebräuchlich;
n2= neutral (normalsprachlich), d.h. allgemein verständlich. Alle Menschen, unabhängig von ihrem sozialen Status und ihrer Bildung, gebrauchen solche Wörter;
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n3= neutral (nicht expressiv), besitzt keine Ausdruckskraft.
„der Drahtesel“: n1= Alltagsrede
n2= „–1“ (literatur-umgangssprachlich)
n3= expressiv (scherzhaft)
„flehen“: n1 = Belletristik n2= „+ 1“ (gewählt) n3 = expressiv (pathetisch)
Die stilistische Bedeutung wird auf allen 3 sprachlichen Ebenen präzisiert:
1) phonetische Ebene: Guten Morgen! – Juten Morgen! (Berlinisch – lokales Kolorit)
2) lexische Ebene: der Oberst – der Obrist (veraltet, archaisch – zeitliches Kolorit)
3a) morphologische Ebene: im Wald – im Walde
3b) syntaktische Ebene: Sie ein Politischer, ein Roter wie? – Sie wollen ein Politischer, ein Roter sein?
0 – Stufe: die Wörter dieser Stufe gebraucht man in objektiv konstatierenden Mitteilungen. Sie besitzen einen Null-Wert. Sie machen den größten Teil des Wortschatzes aus. Sie kommen in allen Lebensbereichen vor. Sie bilden die Grundbasis aller Stile.
+ 1: die Wörter dieser Stufe haben einen feierlichen, gehobenen Beiklang. Wir finden sie in allen kommunikativen Redeakten, die mit hohen Gefühlen der Menschen verbunden sind: Liebe, Geburt, Tod, Vaterland. Sie sind in feierlichen Ansprachen, Hymnen, Oden, Toasten, Todesanzeigen... zuhause.
z. B.: der Dämmer (= die Dämmerung); verbindlichst (= sehr); feuchten (= befeuchten); entkeimen (= entsprießen); versterben (= sterben)
+ Archaismen: die Fittiche (Sg. selten gebräuchlich) = die Flügel eines Vogels; der Nachen = das Boot, der Kahn
harren = warten; das Eiland = die Insel; küren = wählen
+ Genitiv-Konstruktionen: Tag der Geburt = der Geburtstag,
Hirt des Viehs = der Viehhirt
+ 2: die Wörter dieser Stufe werden in der Gegenwartssprache nur selten gebraucht. Man gebrauchte sie im 18.-19. Jh. Viele Wörter dieser Stufe sind Poetismen geworden.
z. B.: Herr Professor mögen gütigst erstatten... (= Herr Professor, erlauben Sie...), der Leu = der Löwe; das Haupt = der Kopf; der Ackermann = der Bauer; der Himmelsbote = der Engel; sänftigen = beruhigen;
geschraubt: Beinkleid(er) = Hose; sich echauffieren = sich aufregen
Не призывай, и без призыва
приду во храм,
склонюсь главою молчаливо
к твоим ногам. (Блок)
Куда ланит девались розы,
улыбка уст и блеск очей?!
Всё опалили, выжгли слезы
горючей влаг ою своей. (Тютчев)
– 1: die Wörter dieser Stufe haben eine gesenkte Stilfärbung. Sie werden meist im täglichen Umgang, im Familienkreis, Freundeskreis, auch im privaten Brief gebraucht. Sie sind mit dem Gefühl der Ungezwungenheit verbunden.
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z. B.: sich in der Weltgeschichte herumtreiben = viel umherreisen; foppen = necken, verspotten, zum Narren halten; ich verschwinde = ich gehe nach Hause, es klappt schon wieder nicht = das gelingt mir wieder nicht, j-n andonnern = j-n anschreien, außer Puste = außer Atem
– 2: die literarisch-umgangssprachliche Stilfärbung („– 1“ – Stufe) geht ins Familiäre („– 2“ – Stufe) über, sobald sich die Zahl der saloppen Ausdrücke in der Lexik des Sprechers vergrößert. Im Alltag sind diese Wörter besonders bei den Jugendlichen beliebt. Diese Wörter sind nachlässig.
z. B.: die Fratze = das Gesicht; kein Hund = niemand; sich kriegen = heiraten
halt die Klappe! (заткнись!) = schweige!
hau dich auf den Stuhl! = setz dich!
nicht von schlechten Eltern sein = tüchtig, kräftig, stark sein
quatschen = Unsinn reden
sich ausquatschen = sich ausreden
eine weiche Birne haben = geistesschwach sein
– 3: derb, vulgär; grob-umg. Das ist eine stark gesenkte Stilfärbung
z. B.: die Fresse, das Maulwerk = das Gesicht; kein Aas = niemand; pumpen = borgen;
knallen = schießen; Arsch; Scheiße; Arschloch; Arschkriecher (подхалим); Scheißarbeit (дрянная, отвратительная работа); Scheißkrieg; Scheißladen; Scheißwetter; scheißegal; scheißkalt; scheißfaul;
keine Marie haben = kein Geld haben
angesäuselt = leicht beschwipst
bescheißen = beschimpfen
er ist verreckt = er ist gestorben
vermasseln = verraten