Wortschatzerweiterung durch Bedeutungswandel

Bedeutungswandel (Semantische Derivation) besteht in Veränderung der Bedeutung von Wörtern, die in einer Sprache schon existieren. Die Wandlung der Wortbedeutung wird von Semasiologie (Semantik) erforscht.

Ursachen des Bedeutungswandels:

Innersprachliche (linguistische):

· Sprachökonomie (die begrenzte Zahl der Wörter nennt unendliche Gegenstände);

· Ziel der sprachlichen Tätigkeit (Ausdrucksverstärkung oder Ausdrucksabschwächung);

· Wechselbeziehungen zwischen dem allgemeinen und dem Fach- und Sonderwortschatz (Spezialisierung und Generalisierung der Bedeutung).

Außersprachliche (extralinguistische): das lexikalisch-semantische System passt sich an die politischen, kulturellen, ökonomischen und sozialen Veränderungen in der Gesellschaft an.

Arten des Bedeutungswandels:

Unter quantitativem Aspekt betrachtet, werden drei Arten ausgesondert:

1. Bedeutungserweiterung (Generalisierung der Bedeutung, semantische Expansion) – die alte Bedeutung dehnt sich auf neue Gegenstände, Prozesse oder Sachverhalte aus, z. B.: bereit stammt vom Verb reiten und bedeutete früher “zur Fahrt gerüstet”; Sache stammt aus der Rechtssprache und bedeutete ur­sprünglich “Rechtssache, Rechtsstreit vor Gericht”.

2. Bedeutungsverengung (Spezialisierung der Bedeutung, semantische Reduktion) – der ursprüngliche weite Bedeutungsumfang verengt sich und die veränderte Bedeutung verweist über eine begrenzte Gebrauchssphäre, z. B.: Hochzeit bezeichnete früher “allgemeines kirchliches Fest”, nicht nur die Eheschließung; das Wort Bild (Gemälde, das Werk des Malers) bedeutete ursprünglich “etwas von Menschenhand Geformtes, Gestaltetes”.

3. Bedeutungsübertragung, die sich je nach den Assoziationen unterscheidet. Ähnlichkeit (der Form, der Farbe, der Lage, des Verhaltens u. a.) zwischen zwei Begriffen ergibt die Metapher, z. B.: Schlange als “eine lange Reihe hintereinanderstehender, wartender Menschen oder Autos” ist eine übertragene Bedeutung von Schlange als “Schuppenkriechtier”.

Eine unmittelbare Beziehung zwischen zwei Begriffen verfolgt in Metonymie. Das Hauptkriterium hier ist nicht, wie bei der Metapher, die semantische Gleichsetzung zweier Begriffe aufgrund einer Merkmals- und Namensübertragung, sondern ein Austausch zweier Begriffe aus unterschiedlichen Sinnbereichen. Dabei sind folgende Ersetzungen möglich:

1) räumliche Verhältnisse: der Raum statt der Leute,die da sind, z. B.: Die ganze Universität (anstatt: alle Professoren und Studenten); die ganze Stadt (anstatt: die Einwohner der Stadt);

2) zeitliche Verhältnisse: die Zeit (Epoche, Jahrhundert) statt derLeute, die in dieser Zeit lebten, z. B.: Das Zeitalter der Technik (anstatt: die Menschen dieses Zeitalters);

3) stoffliche Verhältnisse: der Stoff, woraus das Ding angefertigtist, statt des Dinges selbst, z. B.: Traube anstatt Wein;

4) Namensübertragung vom Behälter auf das, was sich darin befindet, z. B.: Glas (anstatt: Bier), Tasse (anstatt: Tee, Kaffee);

5) Übertragung von der Benennung des Ortes auf das, was dort hergestellt wird, z. B.: Mokka, Champagner, Eau de Kologne;

6) kausale Verhältnisse, d. h. X-beliebige Verhältnisse, die zwei Dinge verbindenkönnen, z. B.: Zunge anstatt Sprache, Hand anstatt Handschrift –Übertragung vom Mittel auf das Ergebnis;

7) die Person für die Sache: Cäsar (die Truppen Cäsars) zog an den Rhein; der Nachbar (das Haus des Nachbarn) ist angebrannt;

8) der Autor für das Werk: es ist ein echter Goethe;

9) beim quantitativen Verhältnisspricht man von Synekdoche (Mitverstehen) undunterscheidet manzwei Untertypen:

a) totum pro parte (das Ganze wird für einen Teil gebraucht), z. B.: Deutschland ( anstatt: Deutsche Fussballspieler) siegt gegen England; die Polizei ( anstatt: die Polizisten) hat den Täter verhaftet;

b) pars pro toto (ein Teil vertritt das Ganze ), z. B.: die Menge zählte tausendKöpfe (anstatt: Menschen); die Aktentasche (anstatt: die Person) eilte durch die Stadt;Bierbauch (ein dicker Mensch).

Ein besonderer Typ des semantischen Sprachwandels ist der Euphemismus (griech. Eu “gut” + pheme “Rede”) – beschönigende, mildernde Umschreibung für ein unangenehmes Wort. Man unterscheidet folgende Arten der Euphemismen:

a) Religiöse Euphemismen, z. B.: der Allerwissende, der Allmächtige, himmlischer Richter (Gott); Böse, Schwarze, böser Feind (Teufel). Sie entstanden aus Aberglauben und Furcht vor natürlichen und übernatürlichen Wesen in alter Zeit. Diese Erscheinung geht zu Tabu der Naturvölker zurück;

b) sozial-moralische Euphemismen, z. B.: dichten, phantasieren (lügen); umlegen, aus dem Wege schaffen, kalt machen (jemanden töten); sich benebeln, zu tief ins Glas sehen (betrunken sein), klemmen, mausen, klauen, lange Finger haben (stehlen). Solche Euphemismen werden durch ethische Normen der Gesellschaft bedingt. Mit mildernden Umschreibungen beschönigt man solche negativen Erscheinungen wie Trinken, Diebstahl, Prostitution, Kartenspielleidenschaft und andere Laster;

c) politische Euphemismen, die der Verschleierung tatsächlicher Sachverhalte dienen, z. B.: Annexion (Länderraub), Menschen mit Migrationshintergrund (Migranten), Nullwachstum (Stagnation), ethnische Säuberungen (Genozid);

d) gesellschaftlich-ästhetische Euphemismen, z. B.: in der Hoffnung sein, in anderen Umständen sein (schwanger sein), die Augen für ewig schließen (sterben). Sie entstanden als gesunde Reaktion auf Verstöße gegen den Anstand und angenommene Verhaltensnormen. Man vermeidet direkte Bezeichnungen der physiologischen Prozesse und Zustände oder benutzt die Umschreibungen.

Unter qualitativem Aspekt betrachtet, werden zwei Arten des Bedeutungswandels ausgesondert:

1. Bedeutungsverschlechterung (Pejoration, Wertminderung) das Wort bekommt eine zusätzliche negative Konnotation, z. B.: Spießbürger (engstirniger Mensch) bedeutete ursprünglich “mit dem Speer bewaffneter Bürger”; das Wort Knecht (aus engl. knight “Ritter”) bezeichnete früher “den Knaben, den Edelknecht”;

2. Bedeutungsverbesserung (Melioration, Wertsteigerung) –das Ansehen des Wortes im gewöhnlichen Gebrauch steigt, z. B.: Minister – urspr. “Diener, der Geringere” (lat. Minus “kleiner”); das Wort Marschall bedeutete früher “Stallknecht”.

 

Fragen zur Selbstkontrolle:

1. Definieren Sie den Terminus “Bedeutungswandel”.

2. Nennen Sie die Ursachen des Bedeutungswandels.

3. Zählen Sie die Arten des Bedeutungswandels auf.

4. Was wird unter “metaphorischer Übertragung” verstanden?

5. Worin besteht die metonymische Übertragung?

6. Wodurch unterscheidet sich die metaphorische Bedeutungsübertragung von der metonymischen?

7. Nennen Sie die Arten der metonymischen Übertragung.

8.  Was versteht man unter “Bedeutungserweiterung” und “Bedeutungsverengung”?

9.  Definieren Sie “Wertsteigerung” und “Wertminderung” der Bedeutung.

10. Was wird unter dem “Euphemismus” verstanden? Auf welchen Ursachen basieren Euphemismen?

 


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