Einige Meinungsverschiedenheiten

Viertes Kapitel

Fräulein Andacht saß inzwischen mit ihrem Bräutigam bei Sommerlatte, und manchmal tanzten sie miteinander. Zwischen den Tischen standen herrlich blühende Apfelbäumchen, die waren aus Pappe und Papier und sahen sehr natürlich aus. In den Pappzweigen hingen, außer den Papierblüten, bunte Ballons und lange Luftschlangen. Das Lokal sah lustig aus, und die Kapelle spielte vergnügte Tänze. Fräulein Andacht hatte, weil sie so groß und mager war, eigentlich nicht mehr geglaubt, dass sie einen Bräutigam bekäme, und nun hatte sie seit vierzehn Tagen doch einen. Wenn er bloß nicht so streng gewesen wäre! Fortwährend kommandierte er herum, und wenn sie nicht gleich gehorchte, blickte er sie so unheimlich an, dass ihr vor Schreck die Ohren abstanden.

"Hast du kapiert?" fragte er, beugte sich weit vor und funkelte sie böse an.

"Willst du das wirklich tun, Robert?" fragte sie ängstlich. "Ich habe zweihundert Mark auf der Sparkasse, die kannst du haben."

"Deine paar Groschen, dämliche Ziege!" sagte er.

Woraus man sieht, dass er kein sehr vornehmer Kavalier war. "Bis morgen muss ich den Plan haben."

Fräulein Andacht nickte ergeben. Dann flüsterte sie: "Still, die Kinder kommen."

Pünktchen und Anton traten an den Tisch. "Das ist Robert der Teufel", sagte Pünktchen zu Anton und zeigte auf den Bräutigam.

"Aber Pünktchen!" rief Fräulein Andacht entsetzt.

"Lass sie doch", meinte der Bräutigam und lächelte künstlich. "Sie macht ja nur Spaß, die kleine Prinzessin. Ei, ist das ein niedlicher Pinscher!" sagte er dann und wollte den Dackel streicheln. Aber Piefke sperrte die Schnauze auf, knurrte und wollte beißen. Dann mussten sie sich setzen. Der Bräutigam wollte ihnen heiße Schokolade bestellen, aber Anton sagte: "Nein, mein Herr, machen Sie sich unsertwegen keine unnötigen Ausgaben."

Weil die Kapelle wieder zu spielen begann, tanzte Fräulein Andacht mit ihrem Robert. Die Kinder blieben am Tisch.

"Wollen wir auch tanzen?" fragte Pünktchen.

Anton lehnte das Angebot strikt ab. "Ich bin doch schließlich ein Junge. Űbrigens, dieser Robert gefällt mir gar nicht!"

"Nicht wahr!" meinte Pünktchen. "Er hat einen Blick, der ist wie gespitzte Bleistifte. Piefke hat auch etwas gegen ihn. Aber sonst ist es hier hinreizend!"

"Hinreizend?" erkundigte sich Anton. "Ach so, wieder eine Erfindung von dir."

Pünktchen nickte. "Anton, es gibt noch einen, der mir nicht gefällt. Das ist unser Portierjunge. Er hat gesagt, wenn ich ihm nicht zehn Mark gebe, verrät er die Sache meinem Vater. Gottfried Klepperbein heißt er."

Anton sagte: "Du, den kenn ich. Der geht in meine Schule, eine Klasse höher. Na warte, den werde ich mal aus dem Anzug stoßen."

"Au fein!" rief das Mädchen. "Er ist aber größer als du."

"Von mir aus", sagte der Junge. "Den zerreiß ich in der Luft."

Währenddem tanzten also Fräulein Andacht und ihr Bräutigam. Und viele andere Leute tanzten auch. Robert schielte wütend zu den Kindern hinüber und flüsterte:

"Schaff mir die Bälger aus den Augen. Morgen Nachmittag treffen wir uns wieder hier. Was sollst du mitbringen?"

"Den Plan", sagte Fräulein Andacht. Es klang, als hätte sich ihre Stimme den Fuß verstaucht.

Auf der Straße sagte Fräulein Andacht: "Du schreckliches Kind! Meinen Bräutigam so zu ärgern!"

Pünktchen gab keine Antwort, sondern verdrehte die Augen, um Anton zum Lachen zu bringen.

Fräulein Andacht war beleidigt. Sie lief mit Piefke vorneweg, als kriegte sie es bezahlt. Ehe sie sich's recht versahen, standen sie vor Pogges Haus.

"Also heute Abend treffen wir uns wieder", sagte Pünktchen. Und Anton nickte. Während sie so herumstanden, kam Gottfried Klepperbein zufällig aus der Tür und wollte an ihnen vorbeigehen.

"Moment mal", rief Anton. "Ich habe dir was Wichtiges zu erzählen." Gottfried Klepperbein blieb stehen.

"Marsch ins Haus!" sagte Anton zu Pünktchen.

"Zerreißt du ihn jetzt in der Luft?" fragte Pünktchen.

"Das ist nicht für Frauen", sagte er. Fräulein Andacht und Pünktchen gingen ins Haus. Pünktchen blieb gleich hinter der Tür stehen und blinzelte durch die Glasscheibe, die in der Tür war. Aber Anton wusste das nicht.

"Hör mal gut zu", sagte er zu Gottfried Klepperbein "Wenn du die Kleine noch mal belästigst, kriegst du's mit mir zu tun. Sie steht unter meinem Schutz, verstanden?"

"Du mit deiner feinen Braut", lachte Klepperbein. "Du bist ja total blödsinnig!" In diesem Moment bekam er eine solche Ohrfeige, dass er sich aufs Pflaster setzte. "Na warte!" rief er und sprang hoch. Doch da kriegte er bereits die zweite Ohrfeige, diesmal von der andern Seite, und er setzte sich wieder hin. "Na warte", sagte er, aber vorsichtshalber blieb er gleich sitzen.

Anton trat noch einen Schritt näher. "Heute habe ich dir's im Guten gesagt", meinte er. "Wenn ich aber wieder etwas hören sollte, dann werde ich handgreiflich." Damit schritt er an Gottfried Klepperbein vorüber und blickte ihn nicht mehr an.

"Kruzitürken", sagte Pünktchen hinter der Tür, "was der Junge alles kann!"

Fräulein Andacht war schon immer in die Wohnung gegangen. Als sie an der Küche vorbeikam, rief die dicke Berta, die auf einem Stuhl saß und Kartoffeln schälte: Treten Sie mal einen Schritt näher!"

Die Andacht hatte gar keine Lust dazu, aber sie folgte. Denn sie hatte vor Berta Angst.

"Sie", sagte Berta, "ich habe zwar mein Zimmer drei Treppen höher, unterm Dach. Aber ich merke trotzdem, dass hier irgendwas nicht stimmt. Wollen Sie mir gefälligst erklären, warum das Kind in der letzten Zeit so blaß aussieht und solche Ringe unter den Augen hat? Und warum es früh nicht aus dem Bett will?"

"Pünktchen wächst", meinte die Andacht. "Sie müsste Lebertran einnehmen oder Eisen."

"Sie sind mir schon längst ein Haar in der Suppe", sagte Berta. "Wenn ich mal dahinterkäme, dass Sie Heimlichkeiten haben, dann trinken Sie den Lebertran, und zwar gleich mit der Flasche!"

"Sie sind mir ja viel zu gewöhnlich, Sie können mich nicht beleidigen", bemerkte das Kinderfräulein und rümpfte die Nase.

"Ich kann Sie nicht beleidigen?" fragte die dicke Berta und erhob sich. "Das wollen wir doch sehen. Sie Schafsnase, Sie hinterlistige Hopfenstange, Sie können ja aus der Dachrinne Kaffee trinken, Sie impertinentes Gespenst, Sie..."

Fräulein Andacht hielt sich beide Ohren zu, kniff vor Wut die Augen klein und schob wie eine Giraffe durch den Korridor.

Die vierte Nachdenkerei handelt:

Vom Mut

Ich möchte an dieser Stellte ein bisschen über den Mut reden. Anton hat eben einem Jungen, der größer ist als er, zwei Ohrfeigen gegeben. Und da könnte man ja nun meinen, Anton habe Mut bewiesen. Es war aber gar nicht Mut, es war Wut. Und das ist ein kleiner Unterschied, nicht nur im Anfangsbuchstaben.

Mut kann man nur haben, während man kaltes Blut hat. Wenn sich ein Arzt, um zu probieren, ob er recht hat, lebensgefährliche Bakterien einspritzt und anschließend mit einem Gegenmittel impft, das er entdeckt hat, zeigt er Mut. Wenn ein Polarforscher, um Entdeckungen zu machen, mit ein paar Hundeschlitten nach dem Nordpol kutschiert, beweist er Mut. Wenn Professor Piccard mit einem Ballon in die Stratosphäre aufsteigt, obwohl noch niemand vorher dort oben war, dann ist er mutig.

Habt ihr die Sache mit Professor Piccard verfolgt? Das war interessant. Er wollte wiederholt aufsteigen, aber dann unterließ er es wieder, weil das Wetter nicht geeignet war. Die Zeitungen machten sich schon über ihn lustig. Die Leute lachten schon, wenn sie seine Fotografie sahen. Aber er wartete den geeigneten Moment ab. Er war so mutig, dass er sich lieber auslachen ließ, als eine dumme Handlung zu begehen. Er war nicht todkühn, er war nicht verrückt, er war ganz einfach mutig. Er wollte etwas erforschen, er wollte nicht berühmt werden.

Mut beweist man nicht mit der Faust allein, man braucht den Kopf dazu.

Pensum 4

Aktiver Wortschatz

1. glauben + D – верить кому-либо

Wir glauben ihm aufs Wort.

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2. fortwährend – постоянно, беспрестанно, беспрерывно

In der Stunde kichern und plaudern fortwährend.

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3. gehorchen + D - слушаться, повиноваться, подчиняться

Die Kinder gehorchen ihrer Mutter.

Das Kind gehorche und ging ins Bad.

4. kapieren (umgsp.) = verstehen, begreifen

Ich habe alles kapiert und sage darüber kein Wort mehr.

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5. dämlich (umgsp.) – придурковатый, глуповатый

Er war ein dämlicher Kerl.

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6. vornehm – знатный, благородный

Sie spielt eine vornehme Dame.

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7. ergeben – покорно, покорившись, смирившись

Er gehorchte dem Freund und machte alles ergeben weiter.

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8. entsetzt sein – быть испуганным, объятым ужасом

Er war entsetzt über diese Neuigkeit.

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9. ablehnen + Akk. - отклонять, отвергать

Er konnte diese Bitte nicht ablehnen.

Er hat unsere Hilfe abgelehnt.

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10. hinreißen + Akk. (i,i) – захватывать, увлекать, пленять

hinreißend sein - быть захватывающим, увлекательным

Der neue Film hat mich hingerissen.

Der neue Film ist hinreißend.

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11. verraten (ie,a) – изменять, предавать, выдавать кого-либо, что-либо

der Verrat

Er hat sie nicht verraten.

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12. von mir aus – я не возражаю, пусть, пускай …

Von mir aus kann er rauchen.

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13. währenddem = währenddes(sen) = inzwischen – между тем, тем временем

Meine Freunde sahen fern, ich kochte währendem Kaffee.

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14. belästigen + Akk. mit + D - обременять, беспокоить, докучать, надоедать

Wir wollten unseren Freund mit unseren Problemen nicht belästigen.

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15. unter j-s Schutz stehen – находиться под чьей-либо защитой, покровительством

Das Kind steht unter Schutz der Eltern.

Sie steht/ist unter meinem Schutz.

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16. blödsinnig - тупой, глупый, идиотский

der Blödsinn - глупость, бессмыслица, чепуха, ерунда, чушь, вздор

Diese Idee ist blödsinnig.

Er redet nur Blödsinn.

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17. vorsichtshalber – ради осторожности, для предосторожности, для перестраховки

Vorsichtshalber haben wir ihn angerufen.

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18. im Guten – по-хорошему

Er wollte dieses Problem im Guten lösen.

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19. Kruzitürken! – Чёрт возьми! Чёрт побери! Вот это да!

20. die Schafsnase = der Schafkopf = der Schafskopf - болван, дурак

21. die Hopfenstange - кол для хмеля; шутл. каланча, верзила худой как жердь, шкидла

22. entdecken – открывать, обнаруживать, найти

der Entdecker - первооткрыватель

die Entdeckung - открытие

Er hat dieses Chemiegesetz entdeckt.

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23. sich lustig machen über + Akk. = auslachen + Akk. - смеяться над кем-либо,

высмеивать, потешаться, надсмехаться

Sie machten sich ständig über diesen Jungen lustig.

Sie lachten ständig diesen Jungen aus.

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24. berühmt sein – быть знаменитым

weltberühmt – всемирно знаменитый

Dieser Schriftsteller ist berühmt.

Seine Romane sind weltberühmt.

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