Das Neuhochdeutsche (etwa seit 1650)

In ihren Grundzügen geht diese Einteilung auf Jacob Grimm (1785-1863) zurück, den älteren der beiden Brüder, denen wir die Sammlung der Kinder- und Hausmärchen verdanken. Er war ein bedeutender Gelehrter und der Begründer der deutschen Sprachwissenschaft. Allerdings hielt er Martin Luther (1483-1546) für den eigentlichen Schöpfer des Neuhochdeutschen. Darum setzte er die Grenze zwischen Mittel- und Neuhochdeutsch um das Jahr 1500 an. Viel später erst wurde erkannt, dass Luther eine Entwicklung auf die Höhe führte, die schon viel früher begonnen hatte. Deshalb wird heute die Periode 3 „Frühneuhochdeutsch" als eine eigene, selbständige Sprachperiode in das anfangs nur dreiteilige Schema eingeschoben.

Text 15. Entwicklungen und Entwicklungstendenzen im Gegenwartsdeutsch

Angelika Haller-Wolf („Sprachspiegel“ 6/98)

Unsere Sprache ist kein festes, statisches Gebilde, das sich nicht verändern und weiterentwickeln würde. Sie ist im Gegenteil aufgrund der vielen Wandlungen des gesellschaftlichen Lebens und einer sich andauernd verändernden Umwelt zahlreichen Entwicklungen unterworfen, die sich in so genannten Sprachwandelprozessen niederschlagen. Sprachwandel, d. h. die „Vielfalt der ständig verlaufenden Prozesse der Umgestaltung, des Verlusts und der Neubildung sprachlicher Elemente“, betrifft dabei alle Bereiche der Sprache. In erster Linie sind hiervon die Lexik, die Morphologie (Wort- und Formenlehre), die Aussprache sowie die Syntax (Satzlehre) betroffen. Die Vielzahl dieser Sprachwandelprozesse zu dokumentieren gehört zu den vornehmsten Pflichten der Lexikographie und der Grammatiklehre und damit auch zu den wichtigsten Aufgaben der Dudenredaktion. Da eine erschöpfende Darstellung all dieser Bereiche den Rahmen eines Artikels bei weitem sprengen würde, soll auf die wichtigsten Einzelaspekte in späteren Beiträgen eingegangen werden. Hier möchte ich im Folgenden nur einen ersten Überblick über einige besonders augenfällige aktuelle Entwicklungen und Entwicklungstendenzen in der Grammatik des heutigen Deutsch geben. Dabei wird weder ein Anspruch auf Vollständigkeit noch auf umfassende Behandlung der einzelnen Erscheinungen erhoben.

Syntax

Im Bereich der Syntax ist schon seit geraumer Zeit festzustellen, dass Verben in Nebensätzen, die mit den Konjunktionen obwohl, während und vor allem weil eingeleitet werden, nicht wie erwartet am Ende des Satzes stehen, sondern die Satzkonstruktion des Nebensatzes durch eine Hauptsatzwortstellung ersetzt wird. So wird z. B. aus dem Satz „Ich konnte nicht kommen, weil ich keine Zeit hatte“ der Satz „Ich konnte nicht kommen, weil ich hatte keine Zeit“. Dieser Sachverhalt wird mitunter auch als Verdrängung der kausalen denn -Konjunktion durch weil erklärt. In der Sprachgeschichte des Deutschen ist die Verbzweitstellung im Übrigen keine Neuerscheinung, sondern sie war bis ins 16. Jahrhundert allgemein möglich und akzeptiert. Bis auf wenige Ausnahmen, so beispielsweise in der Werbesprache, taucht dieses Phänomen fast ausschließlich in der gesprochenen Sprache auf. Es scheint hier allerdings beinahe täglich an Terrain zu gewinnen. Deshalb wurden mittlerweile zahlreiche Untersuchungen zu diesem Thema vorgelegt, die den Versuch unternehmen, diese Umkonstruktion bzw. Verdrängung zu typisieren und die Gründe für ihre Entstehung, ihre Verbreitung und ihre Verwendungskontexte umfassend zu analysieren und darzustellen.

Ebenfalls in den Bereich der Syntax fällt die Ausgliederung von Adverbien oder Konjunktionen mit adversativer oder intensivierender Bedeutung. Sätze wie „Gewiss: Die deutsche Sprache ist schwierig“ anstelle der Formulierung „Die deutsche Sprache ist gewiss schwierig“ sind vorwiegend in den Massenmedien verbreitet und kommen dort vor allem in Leitartikeln von Tageszeitungen oder in politischen sowie kulturpolitischen Kommentaren von Fernsehen und Hörfunk vor, also in Situationen, in denen ein besonderer Anspruch auf Seriosität sowie sprachliche Kultur erhoben wird. Dieses Phänomen taucht sowohl in der geschriebenen wie auch in der gesprochenen Sprache auf. Ob es sich dabei jedoch wirklich um eine neue sprachliche Konstruktion handelt oder nicht einfach nur um die zunehmende Verwendung einer seit langem möglichen rhetorischen Figur, müsste noch näher untersucht werden.


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