Geschichte der deutschen Ausspracheregelung

Der Werdegang der Standartsprache in Deutschland ging einen besonderen historischen Weg, weil Deutschland bis zum Ende des 19. Jh. kein politisches, ökonomisches und kulturelles Zentrum hatte und in mehr als 360 Läder und Fürstentümer zersplittert war. Jedes Land sprach seine Mundart. Nachdem Deutschland 1871 vereinigt und Berlin zur Hauptstadt des Staates erklärt worden war, gab es immer noch keinen einheitliche Aussprache.

Bei der Entwicklung der deutschen Nationalsprache sind zwei Prozesse zu beobachten:

- die Schaffung der Schriftsprache: vom 15. bis zum 18. Jh. ganz aktiv im obersächsischen Raum, unübersehbar ist dabei die Rolle von Martin Luther, der einen Anstoß zur Herausbildung der einheitlichen Schriftsprache gegeben hat.

- die Regelung der Aussprache: seit dem 19. Jh. Als Muster diente damals die Aussprache des Niederdeutschen. Einer der Gründe: sie war schriftnah.

Bekanntlich ist, dass die ersten Forderungen nach einer einheitlichen und reinen Aussprache von der Bühne aus gingen. Die Schauspieler mussten dialektfrei sprechen, damit man sie überall in Deutschland verstehen konnte. 1803 schrieb J.W.Goethe seine berühmten "Regeln für die Schauspieler". 1885 schrieb der deutsche Phonetiker Wilhelm Vietor "Die Aussprache des Schriftdeutschen".

Den nächsten wichtigen Schritt hat Prof. Theodor Siebs gemacht. Ende des 19. Jh. gründete er eine Kommission, die die Aufgabe hatte, die einheitlichen Ausspracheregeln auszuarbeiten. Es wurden 22 Bühnen in Deutschland untersucht.Dabei bediente man sich der Methode der subjektiven Beobachtung und notierte die Rede der Schauspieler in phonetischer Transkription [Хицко 2010: 11]. Als Ergebnis dieser Untersuchungen erschien 1898 die erste Auflage der „Deutschen Bühnenaussprache“ von Th. Siebs (die wichtigsten Regeln von Siebs sieh in: [Хицко 2010: 11 - 13]). Das Werk erlebte neunzehn Auflagen und spielte eine große Rolle hinsichtlich der Regelung und Kodifizierung der deutschen Aussprachenorm.

Im 20 Jh. bemüht man sich die von Th. Siebs vorgeschlagene Norm, die leider der Sprechrealität nicht entsprach, durch die Ist-Norm zu ersetzen. Wir wollen hier kurz auf die grundlegenden Werke eingehen, die zur Herausbildung dieser Norm beigetragen haben:

1962: „DUDEN. Aussprachewörterbuch“ von Max Mangold (die neuste Auflage erschien 2011).

1964: „Wörterbuch der deutschen Aussprache“ (WDA). Die neuste Auflage erschien 2009 bei de Gruyter.

1973: „Deutsche Stadartaussprache. Lautschwächungen und Formstufen“ von G. Meinhold.

1984: Das „Große Wörterbuch der deutschen Aussprache“ (Krech E.-M. u.a.) [Хицко 2010: 13 - 14].

Auch heute bleiben die Fragen der Ausspracheregelung ganz aktuell und werden im Rahmen von zahlreichen Studien zum Standartdeutsch und seiner Varietäten erforscht (z.B. die Studie „Wie viel Variation verträgt die deutsche Sprache?“, 2008; „Phonetische Untersuchungen zur Prosodie der Standardvarietäten des Deutschen in der Bundesrepublik Deutschland, in der Schweiz und in Österreich“ von Christine Ulbrich u.a.m.).

Die regionalen Varianten der Sprechnorm.

Deutsche Muntarten

„Die Variation zwischen dem Standartdeutsch Osterreichs, der Schweiz und Deutschlands ist so gering, dass praktisch niemand die Zugehörigkeit zur gleichen Sprache bezweifelt. Dagegen unterscheiden sich gewisse deutsche Dialekte so stark wie sonst manche Sprachen“ [Ammon 2008: 29]. Besonders auffallend ist ein Nord-Süd-Unterschied. In der norddeutsche Aussprache werden weiche Konsonanten (Reibelaute gleichermaßen wie Verschlusslaute) zugleich stimmhaft gesprochen (besonders s [z] im Anlaut und zwischen Vokalen). So wird der Unterschied zwischen weicher und harter Konsonanz deutlicher als im süddeutschen Sprachgebrauch, wo die Opposition Fortis-Lenis manchmal fehlt. Aus bestehenden nord-süddeutschen Aussspracheunterschieden haben sich gegensätzliche Stereotype entwickelt: die Süddeutschen finden die norddeutsche Aussprache zackig, die Nordeutschen finden die süddeutsche Aussprach breiig und undeutlich [Ammon 2004: LIII]. 

Österreichisch

• das Redetempo ist bedeutend langsamer als das des Standartdeutschen;

• das Melodieinterval ist größer: betonte Silben werden gedehnter als im Stanartdeutschen ausgesprochen, so dass die Diphtongierung von Vokalen entsteht: z.B. Ruhe [ru: ә] - [r ua ә];

• ein großer quantitativer Unterschied zwischenbetonten und unbetonten Silben;

• eine starke Reduktion des [ә] im Suffix -en;

• die ungenügende Rundung der labialisierten Vokale, z. B. [œ], [y] werden als [e] und [i];

• Nasalisation von Vokalen;

• einem langen Vokal in der Standartaussprache kann ein Kurzvokal entsprechen: z.B. wusch [u: > υ];

• das Suffix -ig wird mit [k] ausgesprochen;

• Abweichungen in der Aussprache von sp-, st im Wortanlaut.

 

Schweizerdeutsch

• das Redetempo ist bedeutend langsamer als das des Standartdeutschen;

• die Pausen sind häufig und lang;

• ein großer quantitativer Unterschied zwischenbetonten und unbetonten Silben;

• mehr Tonhöhenvariationen;

• Qualität der Vokale, z.B.: Langvokale werden als Kurzvokale ausgesprochen; Monophthongierung von Diphthongen: mein - min;

• die Aussprache von [e]-Lauten;

• Realisierung der [r]-Laute;

• die Lenes [b], [d], [g] sind stimmlos.



Vorlesung 5. Lauterzeugung und Lautwahrnehmung

Begriff der phonetischen Basis. Artikulation und Wahrnehmung


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