Die Sozialarbeit als menschenrechtsprofession

Sozialarbeit hat zur Aufgabe, sozial beeinträchtigte Menschen darin zu unterstützen, die beeinträchtigenden sozialen Probleme zu lösen. Beeinträchtigung meint die Verhinderung oder Einschränkung der Teilhabe an ökonomischen und kulturellen Aktivitäten innerhalb einer Gesellschaft.

Insofern Sozialarbeit immer auch mit einzelnen Menschen arbeitet, findet sie sich in einem Widerspruch zwischen gesellschaftlichen und individuellen Ansprüchen, die an sie gerichtet werden. Dieser Widerspruch tritt in Russland noch klarer zum Vorschein, da das menschliche Zusammenleben von dem erwähnten Kollektivverständnis geprägt ist. Dieses lässt das Individuum in seiner Bedeutung in den Hin­tergrund treten. Sozialarbeit macht sich aber gerade dieses Individuum zum Gegenstand. Und soweit dem Individuum grundlegende Rechte versagt sind, nimmt sie auch Partei. Sie setzt sich ein für die Realisierung der grundlegenden Rechte, wie sie in den verschiedenen Menschenrechtskonventionen festgehalten sind. Da in vielen Gefängnissen Russlands, insbesondere in Untersuchungsgefängnissen, Menschenrechte nur in ungenügendem Ausmaß beachtet werden, akzentuiert sich der Menschenrechtsbezug der Sozialarbeit. Sie rückt - unter Beachtung der kollektiv gepräg­ten Lebensweise der Menschen - dennoch das Individuum in den Vordergrund im Bemühen, dieses in der Wahrnehmung seiner Rechte zu unterstützen. Im erwähnten Berufsprofil für die Sozialarbeitenden im Strafvollzug ist dies folgendermaßen umschrieben:

„Der Sozialarbeiter/die Sozialarbeiterin ist definiert als Vermittler/in zwischen der Gesellschaft und dem (straffällig gewordenen und verurteilten) Individuum. Er/sie steht dabei dem Verurteilten anwaltschaftlich zur Seite und wirkt als Impulsgeber gegenüber dem Gefängnis und der Gesellschaft. Das geschieht ab dem Eintritt der Insassen, während des Vollzugs und des Austritts - also über die ganze Aufent­haltsdauer des Insassen hin. Das übergeordnete Ziel besteht darin, den Verurteilten Unterstützung für den Wiedereintritt in das gesellschaftliche Leben zu geben. Im Rahmen der Bestrebungen zur Humanisierung des Strafvollzugs kommt den Sozialarbeitenden eine wichtige Bedeutung zu."

 

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DIE SOZIALARBEIT IM RUSSISCHEN STRAFVOLLZUG

Vorab ist festzuhalten, dass es in Russland bis zur Wende Sozialarbeit im obigen Verständnis nicht gab; denn per definitionem bestanden im Realsozialismus keine sozialen Probleme. Inzwischen gibt es etwa 100 verschiedene Ausbildungsgänge für Sozialarbeit im Land. Teilweise arbeiten die Professionellen in von früher übernommenen Institutionen, teilweise wurden, insbesondere von privater Seite, neue Institutionen geschaffen. Der Ausbaustand ist allerdings aus ökonomischen Gründen nach wie vor sehr beschränkt. Umso erstaunlicher ist es, dass für den Strafvollzug der politische Wille besteht, Sozialarbeit flächendeckend in den Gefängnissen zu etablieren. Dieser Wille ist im Befehl Nr. 59 des Justizministeriums der russischen Föderation, Hauptverwaltung für den Strafvollzug, vom 5. April 2001 nieder gelegt:

„Die Posten der Oberspezialisten für die Sozialarbeit werden in die Stellenpläne der Anstalten (außer Kolonien für die Insassen mit lebenslänglichen Strafen) wie folgt eingeführt: ein Posten für 300-400 Insassen."

Dies würde den Einsatz von zwischen 2500 bis 3500 Sozialarbeitenden bedeuten. Die Mittel stehen allerdings hierfür kaum zur Verfügung. Der Einsatz von Sozialarbeitenden kann vorerst nur über Stellenumdefinitionen bewerkstelligt werden.

Unser Projekt leistet einen Beitrag dazu, Sozialarbeit in den Strafvollzug zu implementieren. Dies geschah bislang vornehmlich über das Vehikel der Praktika. Dadurch kamen erstmals Menschen, die mit spezifischem Sozialarbeitswissen ausgestattet waren, in die drei Gefängnisse des Gebietes Orel. Sie brachten damit auch eine individuumsorientierte Haltung in die Institutionen, in welchen je etwa 1500 Menschen gefangen sind. Diese Haltung kam praktisch zum Tragen: Die Praktikantinnen und Praktikanten hatten sowohl mit Mitarbeitenden wie mit Insassen und Insassinnen praktische Aufgaben zu bearbeiten, wie sie in den erwähnten Praktikumtabellen formuliert sind.

 

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